Diese Eröffnung ist nach dem englischen Meister Sir Philipp Stuart Milner-Barry (1906 – 1995) benannt. In den 1930er bis
1950er-Jahren gehörte er zu den stärksten Spielern seines Landes. Gemeinsam mit anderen Schachspielern und Wissenschaftlern
gehörte er zu jenem Geheimdienst-Team, das im 2. Weltkrieg die Funksprüche der feindlichen Armeen entschlüsselte. Später
diente er dem Finanzministerium und wurde von der Königin geadelt.
Das Milner-Barry-Gambit gehört in den Komplex der Vorstoß- oder Einengungsvariante in der Französischen Verteidigung, die
sich nach den Zügen 1.e2-e4 e7-e6, 2.d2-d4 d7-d5, 3.e4-e5 ergibt. Sehen wir zunächst die einleitenden Züge und
die triviale Falle, die dem Milner-Barry-Gambit vorgeschaltet ist.
Vorstoßvariante bis zum Milner-Barry-Gambit
Die Stellung nach dem 5. Zug von Schwarz gehört zu den Grundstellungen der Schach-Eröffnungslehre. In knapp der Hälfte
aller Partien bevorzugt Weiß das sichere 6.a2-a3 (46% der Partien). Die beiden übrigen Varianten sind etwa gleich häufig,
wobei das Milner-Barry-Gambit mit 22% noch knapp hinter der Variante 6.Le2 (25%) liegt. Alle anderen Züge sind praktisch
bedeutungslos.
Am Ende der Hauptvariante muss sich Schwarz zwischen 2 grundlegenden Varianten entscheiden. Die Chessbase-Datenbanken
belegen eine deutliche Bevorzugung des vorbeugenden Zuges a7-a6 (56% der gespielten Partien). Etwa in 30% der Fälle schlug
Schwarz mit Dd4xe5 den zweiten Bauern.
Wenn Schwarz das zweite Bauernopfer annimmt, gerät er in einen heftigen Angriff, der nur mit sehr aufmerksamem Spiel zu
überstehen ist. Bei richtiger Verteidigung – meist mit Rückgabe eines Bauern – sollte das aber zu schaffen sein.
Der Fortgang des Spiels nach 10… Dd4xe5
Mit diesem Zug sichert sich Schwarz vor allem gegen das Eindringen des Springers c3 über b5 und eventuell nach c7.
Doch auch danach hat Weiß reichliches Angriffspotential.
Der Fortgang des Spiels nach 10… a7-a6
Wie immer wollen wir uns nun einige effektvolle Partien zu unserem Eröffnungsthema anschauen. Erneut habe ich mich auf
solche Beispiele beschränkt, in denen die Angriffsideen des Gambitspiels besonders deutlich werden. Auch wenn dabei die
Leistung des Verteidigers nicht immer die beste ist, kann man sie mit Genuss und Lerneffekt nachspielen.
Wir beginnen mit einer Partie eines absoluten Weltklassespielers: Der estnische Großmeister Paul Keres (1916 – 1975)
gehörte auf dem Höhepunkt seiner Karriere zu den Anwärtern auf den WM-Thron. Hier besiegt er seinen Landsmann Iivo Nei,
der später zu den Beratern von Weltmeister Spasski gehörte.
Keres – Nei, Sowjetunion 1958
Recht bekannt wurde auch die folgende Partie aus der tschechischen Frauenmeisterschaft.
Jilemnicka – Molnarova, Tschechien 1992
Die 3 nächsten Partien sind zwar etwas länger, zeigen aber typische Angriffsmotive unserer Eröffnung. Wir sehen, dass
sie auch auf höchster Ebene gespielt wird. Dabei gelingt es den Angreifern, ihre Initiative weit über die Eröffnung
hinaus – im ersten Fall bis ins Schwerfigurenendspiel – zu bewahren.
Rozentalis – Neverov, Sowjetunion 1989
Wlassow – Iclicki, Internet-Turnier 2001
Sweschnikow – Rasuwajew, Belgrad 1988
Aus der Fülle des Materials von Spielern unterschiedlichster Leistungsklassen seien einige nette Kurzpartien ergänzt.
Sie verdeutlichen typische Angriffsverfahren des Milner-Barry-Gambits, freilich ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Le Quang – Nguyen Nhat Duong, Vietnam 2000
Mendoza – Mella Defranchi, Argentinien 2001
Eskola – Nukarinen, Finnland 1993
Shahade – Morris, USA 1996
Garcia Blanco – Amor Alcaide, Spanien 1992
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